Offener Brief FKG-CSS / SASSA

Offner Brief an die Mitglieder der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur WBK des Ständerats.

Olten/Granges, 24. Januar 2023

Motion Aebischer 20.3050 – Titeläquivalenz für die Höhere Berufsbildung

Sehr geehrte Ständerätinnen und Ständeräte der WBK

Am 30. Januar 2023 wird die ständerätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur mit der Beratung der Motion «Aebischer 20.3050 – Titeläquivalenz für die höhere Berufsbildung» beginnen. Wir, die Fachkonferenz Gesundheit der Fachhochschulen Schweiz (FKG-CSS) und die SASSA – Fachkonferenz der Fachhochschulen für Soziale Arbeit Schweiz, wenden uns heute an Sie, um einige Überlegungen zur vorliegenden Motion aus Sicht der Fachhochschulen (FH) in den Bereichen Soziale Arbeit und Gesundheit mit Ihnen zu teilen.


Das aktuelle System bewährt sich

Aus Sicht der beiden Fachkonferenzen sind die Bezeichnungen der bestehenden Abschlüsse in den Bereichen Gesundheit und Soziales auf nationaler Ebene gut verankert, weshalb wir dafür plädieren, das funktionierende System mit den beiden komplementären Ausbildungsgängen auf Ebene Höhere Fachschulen (HF) und Fachhochschulen (FH) beizubehalten und keine neuen Titel einzuführen. Der Unterschied im Zugang ist ein Differenzierungsmerkmal der beiden Ausbildungssysteme. Und die unterschiedlichen Abschlüsse der Höheren Fachschulen und FHs sind bei den Arbeitgebenden und den Studierenden bekannt.

Die höhere Berufsbildung (HBB) ist ein wichtiger Pfeiler im schweizerischen Bildungssystem. Personen mit einem Lehrabschluss bzw. einem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis im entsprechenden oder in einem verwandten Bereich werden zu einer Höheren Fachschule zugelassen. Diese Ausbildungen vermitteln Fachkenntnisse im jeweiligen Feld sowie bereichsspezifische Fach- und Führungskompetenzen. Die Branche legt die Anforderungen an diese staatlich reglementierten Abschlüsse selbst fest. Die starke Arbeitsmarktorientierung der HF-Studiengänge erklärt, weshalb diese Abschlüsse eine hohe Wertschätzung in der Praxis geniessen.

Die Bachelor- und Master-Titel der Universitäten und Fachhochschulen verdeutlichen demgegenüber die Zuordnung der Abschlüsse zur Hochschulstufe. Für die Zulassung zu einem Fachhochschulstudium werden grundsätzlich eine Maturität sowie Berufs- bzw. Arbeitswelterfahrung (z.B. Berufslehre, Praktikum) vorausgesetzt. Die Bachelorabschlüsse der Fachhochschulen sind wissenschaftlich fundiert und praxisorientiert sowie generalistisch angelegt und bereiten auf Tätigkeiten und Führungsaufgaben in verschiedenen Berufsfeldern vor.

Die Fachkonferenzen FKG-CSS und SASSA, deren Absolvent:innen in den Handlungsfeldern Seite an Seite mit HF-Absolvent:innen zusammenarbeiten, haben grundsätzlich ein Interesse an einer starken Berufsbildung. Sie sind daher auch bereit, Massnahmen zur Stärkung der entsprechenden Abschlüsse zu tragen, solange diese das bewährte System unterstützen und nicht schwächen.


Vergleichbarkeit durch englische Übersetzung und den Europäischen Qualifikationsrahmen


International können die Titelbezeichnungen nur beschränkt miteinander verglichen werden. Für die Gesundheitsberufe liegen in Deutschland bspw. andere gesetzliche Grundlagen vor, so dass die Titel Bachelor Professional und Master Professional gemäss dem deutschen Berufsbildungsgesetz nicht auf Hebammen, Pflege, Physiotherapie etc. angewendet werden. Die Verwirrung, insbesondere in der Pflege, wäre bei der Einführung eines Professional Bachelor gross. Die beiden Fachkonferenzen sind daher der Ansicht, dass die bessere Sichtbarkeit und eine vereinfachte internationale Mobilität der HF-Absolvent:innen erreicht werden kann, ohne einen neuen Abschluss einzuführen und stattdessen eine passende englische Übersetzung für die HF-Diplome zu wählen.

Die neue englische Bezeichnung für die HF-Diplome kann in den Diploma Supplements aufgeführt werden. Für die internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse kann der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) herbeigezogen werden. Auf die Bedeutung dieses europäischen Prozesses hat der Bundesrat in seiner ablehnenden Stellungnahme zur Motion Tschümperlin (11.3618) verwiesen, welche bereits 2011 eine Stärkung der höheren Berufsbildung durch die Einführung des Titels Professional Bachelor forderte.




Kooperation und Förderung der Durchlässigkeit

Sollte das System der höheren Berufsbildung indes vor allem auf der nationalen Ebene gestärkt werden, um den Studierenden vielfältigere Möglichkeiten zur Gestaltung ihrer individuellen Karrierepfade zu bieten, so sollte dies aus Sicht der beiden Fachkonferenzen im Einklang mit der aktuellen Bildungssystematik geschehen. Im Vordergrund stehen hierbei aus unserer Sicht die folgenden systemkonformen Massnahmen, die in Zusammenarbeit der HF und FH-Akteure in den Arbeitsfeldern umgesetzt werden können:

  • In Übereinstimmung mit den swissuniversities Best Practices für die Zulassung zum Bachelorstudium (2021) werden Absolvent:innen der Höheren Fachschulen in den Bereichen Gesundheit und Soziales zum Bachelorstudium an einer Fachhochschule zu einem Studiengang in einem verwandten Fach zugelassen. Die Studienleistungen aus dem HF-Studium werden als ECTS-Punkte ans Bachelorstudium angerechnet. Je nach FH werden bis 90 ECTS-Punkte, also die Hälfte des Bachelorstudiums, anerkannt. Hiermit verkürzt sich die Studiendauer von HF-Absolvent:innen merklich verglichen mit derjenigen der Maturand:innen. Diese «Passerelle» ist attraktiv und kann in den Berufsfeldern weiter spezifiziert werden.
  • Wie swissuniversities in der Stellungnahme zum Schlussbericht «Positionierung Höhere Fachschulen» erwähnt hat, sind wir als Fachkonferenzen gerne bereit, in Absprache mit den HFs und den Akteuren der höheren Berufs-bildung weitere Formen der Zusammenarbeit zu prüfen. Die swissuniversities Best Practices (2021) für die Zulassung von Personen mit einem Abschluss der höheren Berufsbildung zu einem FH-Studium skizzieren einige Optionen. Solche gemeinsam vereinbarten Regelungen fördern die Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsgängen auf HF und FH-Niveau.


    Die Bezeichnung des neuen Abschlusses «Professional Bachelor» ist nicht nachvollziehbar


    Ein neuer Titel, Professional Bachelor, hingegen stiftet Verwirrung bei den Arbeitgebenden und den Studierenden. Die Wertigkeit eines zusätzlichen Bachelortitels neben den etablierten akademischen «Bachelor of Arts» und «Bachelor of Science» ist unklar, und die Orientierung im Bildungssystem wird nicht vereinfacht. Die erschwerte Nachvollziehbarkeit rund um den Titel Professional Bachelor findet unseres Erachtens ihren Ursprung in der Vermischung der bisherigen Titelstrukturen der Berufsbildung und der Hochschulen.
  • In der Berufsbildung setzt die Titelstruktur auf Berufsbezeichnungen, die die beruflichen Kompetenzen hervorhe-ben. Die qualifizierende Bezeichnung «Professional» hingegen legt den Fokus auf den Kontext der Titelvergabe statt auf den Inhalt und die Kompetenzen. Diese könnte eine Minderung des Werts des neuen Titels für die HF-Diplomierten zur Folge haben. Zudem insinuiert das Adjektiv Professional, jemand sei Expert:in im Gebiet, was am Ende einer Berufsausbildung nicht gegeben ist. Auch Absolvent:innen von HFs müssen sich erst in ihren Beruf einarbeiten und Erfahrungswissen sammeln.
  • Durch die Verwendung der Bezeichnung «Professional» wird zudem der Anschein erweckt, als seien die Studien-gänge an den FHs praxisfern. Dies stimmt gerade in den Bereichen Gesundheit und Soziale Arbeit nicht, in wel-chem die Studierenden rund einen Drittel des Studiums in der Praxis absolvieren.
  • Die akademischen Bezeichnungen «Bachelor» und «Master» passen nicht in die HBB, denn die HBB-Abschlüsse sind in erster Linie berufsbildend und nachrangig allgemeinbildend orientiert. Die Bezeichnung “Bachelor” und “Master” verweist ausserdem auf eine längere Ausbildungsdauer, die Kopplung von Lehre und Forschung und die Vergabe von ECTS, wie dies an den (Fach)Hochschulen der Fall ist.
  • Schliesslich wird es im In- und Ausland nicht einfach zu vermitteln, wieso es nun in der Schweiz ein (vermeintlich) akademisches Titelsystem mit drei Stufen gibt mit den universitären Hochschulen, Fachhochschulen und Höheren Fachschulen. Die Herausforderung, dieses komplexe System zu vermitteln, könnte also noch grösser werden, als sie heute schon ist.


    Mögliche Abwertung der Berufsmaturität und des FH-Bachelortitels

    Zuletzt möchten die beiden Fachkonferenzen FKG-CSS und SASSA noch auf einige mögliche negative Folgen für die Funktionsweise des heutigen Systems verweisen, die die Einführung eines Professional Bachelors mit sich bringen könnte und die Beachtung verdienen:
  • Zunächst wird mit dem neuen Titel möglicherweise der Status der Maturität, und insbesondere derjenige der Be-rufsmaturität, geschwächt. Die Maturität ist entscheidend für den Zugang zum Studium an einer Hochschule. Wenn es künftig möglich sein sollte, einen Bachelortitel zu erhalten, ohne vorgängig eine Matura zu absolvieren, könnten junge Berufspersonen versucht sein, diesen vermeintlich direkteren Weg zu wählen.
  • Schliesslich sehen die beiden Fachkonferenzen FKG-CSS und SASSA das Risiko, dass der FH-Bachelor in der Berufswelt an Attraktivität verliert, weil es für die Betriebe schwieriger wird, die beiden Bachelorabschlüsse ausei-nanderzuhalten und die Anforderungsprofile komplementär auszuformulieren.

    Die beiden Fachkonferenzen lehnen die Einführung des neuen Titels Professional Bachelor ab, weil er ihrer Ansicht nach die Attraktivität des einen Systems, der höheren Berufsbildung, zu Lasten des anderen Systems, der Hochschulen und konkret der FHs, stärkt. Die mit der Einführung eines Professional Bachelor vorgesehene Positionierung der höheren Berufsbildung als einer mit den FHs konkurrierenden Akteurin riskiert der Situation der Auszubildenden und Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich zu schaden, was angesichts des Fachkräftemangels in diesen Branchen nicht zielführend ist. Zudem könnte die verschärfte Konkurrenzsituation die Zusammenarbeit zwischen den FHs, den Praxisorganisationen, den HFs und den Branchenverbänden künftig erschweren.

    Für die Berücksichtigung unserer Anliegen danken wir.

    Mit freundlichen Grüssen.

    Agnès Fritze, Präsidentin SASSA
    Andreas Gerber-Grote, Co-Präsident FKG-CSS
    Nicole Langenegger Roux, SASSA Vize-Präsidentin
    Laurence Robatto, Co-Présidente FKG-CSS